Reitlehrerin ohne eigene Pferde ist scheinselbständig

Ein Reiterverein, der eine Reitlehrerin beschäftigt, ist verpflichtet, Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen, wenn es sich um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handelt. Das gilt auch dann, wenn eine selbständige Tätigkeit vereinbart wurde, es sich aber tatsächlich um eine Scheinselbständigkeit handelt, Indizien für eine Scheinselbständigkeit sind z. B.

  • die unentgeltliche Nutzung der Vereinspferde und der Reithalle sowie
  • das Fehlen eines unternehmerischen Risikos.

Praxis-Beispiel:
Eine Reitlehrerin unterrichtete Mitglieder eines gemeinnützigen Reitervereins mit vereinseigenen Schulpferden auf dem Vereinsgelände (pro Woche zwischen 12 und 20 Stunden). Der Verein zahlte pro Stunde 18 €. Die Deutsche Rentenversicherung prüfte den Betrieb des Reitervereins und kam zu dem Ergebnis, dass die Reitlehrerin abhängig beschäftigt ist. Entgegen der Auffassung des Reitervereins liegt keine selbständige Tätigkeit, sondern ein Arbeitsverhältnis vor.

Das Landessozialgericht bestätigte die Auffassung der Rentenversicherung. Ein nebenberuflicher Übungsleiter oder Trainer könne auch selbständig sein, wie das Vertragsmuster „Freier-Mitarbeiter-Vertrag- Übungsleiter Sport“ der Rentenversicherung dokumentiert. Ein entsprechender Vertrag ist im vorliegenden Fall jedoch nicht abgeschlossen worden. 

Im konkreten Fall sprachen die o.g. Indizien vielmehr für eine Scheinselbständigkeit. Außerdem wurden die Hallenzeiten mit dem Verein abgestimmt und das Entgelt für die Reitschüler vom Verein festgelegt. Die Vergütung für die Reitlehrerin lag im Durchschnitt über 6.500 € im Jahr und damit deutlich über der steuerfreien Übungsleiterpauschale. Da die Rentenversicherung zur Berechnung des sozialversicherungspflichtigen Entgelts die Übungsleiterpauschale abgezogen hat, ist das Ergebnis nicht zu beanstanden.

Quelle:Sonstige | Urteil | Hessisches Landessozialgericht, L1 BA 22/23 | 01-05-2024

Sozialpädagoge: Eingliederungshilfe ist keine selbständige Tätigkeit

Die Tätigkeit eines staatlich anerkannten Sozialpädagogen im Bereich der Eingliederungshilfe ist keine sonstige selbständige Tätigkeit.

Praxis-Beispiel:
Der Kläger übt sozialpädagogische Beratungsleistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe aus, die den Lebensalltag unterstützen. Der Kläger war der Auffassung, dass seine Einkünfte als sonstige selbständige Tätigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG einzustufen seien. Das Finanzamt und auch das Finanzgericht stuften seine Tätigkeit jedoch als gewerblich ein.

Der BFH hat die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision als unbegründet zurückgewiesen. Der BFH hat bereits geklärt, dass ein Steuerpflichtiger Einkünfte aus sonstiger selbständiger Tätigkeit nur dann erzielt, wenn seine Tätigkeit ihrer Art nach den gesetzlichen Regelbeispielen ähnlich ist (Grundsatz der sogenannten Gruppenähnlichkeit). Es ist ferner geklärt, dass die Tätigkeit nach den gesetzlichen Regelbeispielen nur dann ähnlich ist, wenn diese berufsbildtypisch durch eine selbständige fremdnützige Tätigkeit in einem fremden Geschäftskreis sowie durch Aufgaben der Vermögensverwaltung geprägt ist. Eine Tätigkeit, die beratender Natur ist und keine Aufgaben der Vermögensverwaltung umfasst, kann somit keine sonstige selbständige Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG sein.

Quelle:BFH | VIII B 7/23 | 03-06-2024

Termingeschäfte: Beschränkung der Verlustverrechnung ist verfassungswidrig

Gesetzeslage: Die Verlustverrechnung bei Termingeschäften ist stark einschränkt worden (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG). Verluste aus Termingeschäften, die nach dem 31.12.2020 entstanden sind bzw. entstehen, wie z.B. aus dem Verfall von Optionen, dürfen nur noch mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit den Erträgen aus Stillhaltergeschäften ausgeglichen werden. Die Verluste dürfen nicht mit anderen Kapitalerträgen und auch nicht mit anderen Einkünften verrechnet werden. Außerdem ist die Verrechnung dieser Verluste im Entstehungsjahr auf 10.000 € begrenzt

Soweit diese Verluste nicht verrechnet werden dürfen, können sie auf Folgejahre übertragen werden, wobei die Verrechnung ebenfalls auf jeweils 10.000 € pro Jahr begrenzt ist. Außerdem darf auch in den Folgejahren die Verrechnung nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit den Erträgen aus Stillhaltergeschäften erfolgen.

Praxis-Beispiel:
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten die Antragsteller unter anderem ausländische Kapitalerträge aus Termingeschäften des Antragstellers in Höhe von 250.631 € und Verluste aus Termingeschäften in Höhe von 227.289 €. Das Finanzamt berücksichtigte die Verluste aus den Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nur in Höhe des gesetzlichen Höchstbetrags von 20.000 € und erfasste die noch nicht verrechneten Verluste in Höhe von 207.289 € in einer Verlustfeststellung. Hiergegen legte der Kläger Einspruch und Klage ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung.

Der BFH hat entschieden, dass das Finanzgericht die Vollziehung zu Recht ausgesetzt hat. Der BFH hält die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG bei summarischer Prüfung für nicht vereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG.

Fazit: da der BFH die Beschränkung der Verlustverrechnung als verfassungswidrig angesehen hat, ist es sinnvoll, gegen entsprechende Steuerbescheide Einspruch einzulegen und ggf. die Aussetzung der Vollziehung zu beantragen.

Quelle:BFH | Beschluss | VIII B 113/23 – AdV | 06-06-2024

Wann Unterhaltszahlungen steuerlich absetzbar sind

Der BFH hat entschieden, dass Unterhaltsleistungen nur dann als außergewöhnliche Belastungen von der Einkommensteuer abgezogen werden können, wenn das Vermögen des Unterhaltsempfängers 15.500 € (sogenanntes Schonvermögen) nicht übersteigt. Zudem hat er klargestellt, dass die monatlichen Unterhaltsleistungen nicht in die Vermögensberechnung einzubeziehen sind.

Praxis-Beispiel:
Die Kläger machten Unterhaltszahlungen an den ihren volljährigen Sohn, für den kein Kindergeldanspruch mehr bestand, für den Zeitraum 1.1. bis 30.9.2019 (Abschluss des Studiums) als außergewöhnliche Belastungen geltend. Das Bankkonto des Sohnes wies zum 1.1.2019 ein Guthaben 15.950 € aus. Darin enthalten war eine Ende Dezember 2018 geleistete Unterhaltsvorauszahlung für Januar 2019 in Höhe von 500 €. Das Finanzamt lehnte den Abzug der Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche Belastungen ab, da der Sohn über ausreichend eigenes Vermögen verfüge. Davon sei nach den Einkommensteuerrichtlinien und der ständigen Rechtsprechung des BFH auszugehen, wenn das Vermögen die Grenze von 15.500 € überschreite. Das Finanzgericht folgte der Sichtweise des Finanzamts und wies die Klage ab.

Der BFH entschied anders. Er hob die Vorentscheidung auf und gab der Klage im Wesentlichen statt. Er stellte zunächst übereinstimmend mit dem Finanzgericht klar, dass die seit 1975 unveränderte Höhe des Schonvermögen von 15.500 € trotz der seither eingetretenen Geldentwertung nicht anzupassen sei. Schonvermögen in dieser Höhe liege auch im Streitjahr 2019 noch deutlich oberhalb des steuerlichen Grundfreibetrags (2019 = 9.168 €) und unterschreite auch nicht das Vermögen, was das Zivil- und Sozialrecht dem Bedürftigen als „Notgroschen“ zugesteht. 

Der BFH folgte dem Finanzgericht aber nicht bei der Berechnung des Vermögens. Die monatlichen Unterhaltsleistungen der Kläger seien nicht sofort in die Vermögensberechnung einzubeziehen. Angesparte und noch nicht verbrauchte Unterhaltsleistungen würden grundsätzlich erst nach Ablauf des Kalenderjahres ihres Zuflusses zu (abzugsschädlichem) Vermögen. Die vorschüssige Unterhaltszahlung für den Januar 2019 gilt erst in 2019 als bezogen und ist daher beim Vermögen zum 1.1.2019 nicht zu berücksichtigen. Zu diesem Zeitpunkt sei daher von einem unschädlichen Vermögen des Sohnes in Höhe von 15.450 € auszugehen, das sich im Jahr 2019 auch nicht auf einen Betrag von über 15.500 € erhöht habe.

Quelle:BFH | Urteil | VI R 21/21 | 28-02-2024

Abriss/Neubau wegen Formaldehydbelastung

Aufwendungen für den Abriss eines formaldehydbelasteten Einfamilienhauses sowie für dessen späteren Neubau sind nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, wenn der Abriss des Gebäudes und der Neubau nicht notwendig waren, um die Formaldehydemission zu beseitigen.

Praxis-Beispiel:
Der Kläger ließ das Schlafzimmer seines Wohngebäudes baubiologisch von einem Diplom-Ingenieur (Baubiologen) untersuchen. Dieser führte in seinem Kurzbericht aus, dass die Raumluftmessung auf Formaldehyd und weitere Aldehyde aus baubiologischer Vorsorgesicht den Nachweis einer hohen Formaldehydkonzentration (0,112 ppm) ergab. Die Raumluftmessung auf Chloranisole ergab den Nachweis einer leicht über der in der Fachliteratur veröffentlichten Geruchsschwelle liegenden Konzentration an Trichloranisol, die er auch beim Ortstermin als leichte Geruchsauffälligkeit in Teilbereichen wahrgenommen habe. Der Gutachter ging jedoch nicht von einem Gesundheitsrisiko aus. Außerdem könnten als Reduzierungsmaßnahmen die Abdichtungen von Öffnungen und Fugen in den Wänden, an den Bauteilanschlüssen und der Wand- und Deckenoberflächen in Frage kommen, ebenso wie die Installation von dezentralen Lüftungsgeräten oder einer Lüftungsanlage. 

Der Kläger beantragte den Abbruch des bestehenden Wohngebäudes sowie den Neubau eines Einfamilienhauses mit Garage. Hierfür entstanden ihm Aufwendungen in Höhe von 259.399,96 €, die er in seiner Steuererklärung als außergewöhnliche Belastungen geltend machte. Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung ab.

Die Einkommensteuer ermäßigt sich auf Antrag, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen (= außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG). Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.

Die Aufwendungen sind allerdings nur dann abziehbar, wenn den Grundstückseigentümer kein Verschulden an der Belastung trifft, die Belastung für ihn zum Zeitpunkt des Grundstückserwerbs nicht erkennbar war, realisierbare Ersatzansprüche gegen Dritte nicht gegeben sind und es sich nicht um übliche Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen oder dem gewöhnlichen Wertverzehr geschuldete Baumaßnahmen handelt. Überdies dürfen die streitigen Aufwendungen nicht der Beseitigung von Baumängeln dienen, denn Baumängel sind keineswegs unüblich und nicht mit ungewöhnlichen Ereignissen vergleichbar. 

War der Einsatz von mittlerweile verbotenen schadstoffhaltigen Materialien zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes allerdings (wie hier) erlaubt, liegt jedenfalls für das Jahr der Errichtung des Gebäudes kein Baumangel vor. Nichts anderes kann gelten, wenn ein solches Gebäude nach einem Verbot der Materialien veräußert wurde. Denn das Rechtsgeschäft der Veräußerung hat die tatsächliche Beschaffenheit des Gebäudes nicht verändert.

Aber! Die vom Steuerpflichtigen getroffenen Maßnahmen müssen notwendig sein, um die Formaldehydemission zu beseitigen. In diesem Rahmen ist zu prüfen, ob die Gesundheitsgefahr durch Versiegelung, Abdichtung, Nachbeschichtung, Lüftungsmaßnahmen oder nur durch einen vollständigen Abriss und Neubau beseitigt werden kann. Aufwendungen können nämlich nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG nur steuermindernd berücksichtigt werden, soweit sie nach den Umständen des Einzelfalles „notwendig“ sind und einen „angemessenen Betrag“ nicht übersteigen. Da diese Maßstäbe nicht erfüllt sind, lehnt das Finanzgericht die Berücksichtigung der geltend gemachte Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung ab.

Quelle:Finanzgerichte | Urteil | FG Baden-Württemberg, 1 K 1855/21 | 31-01-2024

Außergewöhnliche Belastung bei Präimplantationsdiagnostik

Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine Präimplantationsdiagnostik mit nachfolgender künstlicher Befruchtung aufgrund einer Krankheit ihres Partners können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. Die Abziehbarkeit schließt auch die Behandlungsschritte mit ein, die aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge am Körper der nicht erkrankten Steuerpflichtigen vorgenommen werden. Der Abziehbarkeit steht es nicht entgegen, dass die Partner nicht miteinander verheiratet sind.

Praxis-Beispiel:
Beim Partner der ledigen Klägerin bestand eine Chromosomenmutation, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu geführt hätte, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen gelitten und unter Umständen nicht lebensfähig gewesen wäre. Die Klägerin und ihr Partner begaben sich deshalb in einem Kinderwunschzentrum in Behandlung. Aufgrund des Kinderwunsches der Klägerin und ihres Partners sei die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik (PID) indiziert gewesen. Des Weiteren erfolgten ein Beratungsgespräch zur künstlichen Befruchtung sowie eine psychosoziale Beratung. Im Anschluss hieran entschieden sich die Klägerin und ihr Partner dazu, eine künstliche Befruchtung mit PID durchführen zu lassen, um dadurch die chromosomale Fehlstellung auszuschließen und eine fortlaufende Schwangerschaft zu erreichen.
In ihrer Einkommensteuererklärung beantragte die Klägerin den Abzug von Aufwendungen im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung in Höhe von 22.965 € als außergewöhnliche Belastungen. Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten der Klägerin ab.

Das Finanzgericht hat entschieden, dass die Kosten, die der Klägerin im Zusammenhang mit der homologen künstlichen Befruchtung entstanden sind, als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Der BFH hat das Urteil bestätigt. Außergewöhnliche Belastungen liegen vor, wenn sie zwangsläufig entstehen. Bei der Zwangsläufigkeit wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch erforderliche Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. Deshalb werden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur "umgangen" oder kompensiert wird. Daher erkennt der BFH Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird.

Voraussetzung ist außerdem, dass die Behandlungsmaßnahme mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine nach nationalem Recht verbotene Behandlung kann keinen zwangsläufigen Aufwand begründen, weil von den Steuerpflichtigen zu erwarten ist, dass sie gesetzliche Verbote beachten. Aufwendungen für verbotene Behandlungsmaßnahmen sind selbst dann nicht zwangsläufig, wenn sie straf- oder bußgeldbewehrt nicht geahndet werden. Kosten für eine künstliche Befruchtung können daher nur dann als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden, wenn sie nicht gegen das Embryonenschutzgesetz verstoßen.

Im Streitfall würde aufgrund der Erkrankung des Partners der Klägerin wahrscheinlich mit schwersten Schädigungen für ein ohne ärztliche Behandlungsmaßnahmen gezeugtes Kind zu rechnen sein, was zwischen den Beteiligten zu Recht auch nicht streitig ist. Die Behandlungsmaßnahmen in Verbindung mit der künstlichen Befruchtung der Klägerin waren somit medizinisch indiziert, um die Krankheit des Partners auszugleichen und deren nachteilige Folgen zu umgehen. 

Denn die durch die chromosomale Translokation des Partners der Klägerin entstehende Gefährdung des Kindes bei natürlicher Befruchtung konnte durch eine PID einschließlich nachfolgender künstlicher Befruchtung umgangen werden. Unerheblich ist, dass mit den ärztlichen Maßnahmen die Ursachen beseitigt werden konnten, weil von der Linderung einer Krankheit vielmehr schon dann gesprochen werden kann, wenn die ärztliche Tätigkeit auf die Abschwächung oder eine partielle oder völlige Unterbindung von Krankheitsfolgen gerichtet ist.

Quelle:BFH | Urteil | VI R 2/22 | 28-02-2024

Gebäude-Restnutzungsdauer nach der ImmoWertV

Bei Gebäuden ist die Abschreibung grundsätzlich nach gesetzlich festgeschriebenen Prozentsätzen zu ermitteln. Den Prozentsätzen liegt jeweils eine typisierte Nutzungsdauer zugrunde, die mit der tatsächlichen Nutzungsdauer im Zeitpunkt des Erwerbs nicht übereinstimmen muss. Deshalb kann anstelle der Abschreibung nach den gesetzlich festgeschriebenen Prozentsätzen die Abschreibung nach der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes vorgenommen werden.

Praxis-Beispiel:
Die Klägerin machte bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung die Abschreibung von den Anschaffungskosten der Gebäude geltend, wobei sie davon ausging, dass die tatsächliche Nutzungsdauer der Gebäude nur noch 6 Jahre betrage. Das Finanzamt berücksichtigte die Abschreibung nur in Höhe des typisierten festen Satzes von 2%, was einer Nutzungsdauer von 50 Jahren entspricht. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin, dass die Abschreibung nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer der Gebäude abzuziehen sei. Hierzu holte das Finanzgericht das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Wertermittlung von bebauten und unbebauten Grundstücken ein. Der Sachverständige ermittelte in seinem Gutachten nach Maßgabe der Immobilienwertermittlungsverordnung für das Gesamtobjekt eine gewichtete tatsächliche Restnutzungsdauer von 19 Jahren.

Der BFH teilt die Auffassung des Finanzgerichts, dass die Gebäudeabschreibung nicht über 50 Jahre, sondern über nur 19 Jahre zu verteilen ist. Die Entscheidung des Finanzgerichts, die Gebäude-Abschreibung nicht über 50 Jahre, sondern über nur 19 Jahre zu verteilen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Nutzungsdauer ist der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die Darlegungs- und Feststellungslast für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer trägt der Steuerpflichtige. Das bedeutet, dass die Nutzungsdauer zu schätzen ist, wobei das Ergebnis der Schätzung nur eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit sein kann. Die Schätzung ist nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt.

Der Steuerpflichtige kann sich bei der Ermittlung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer jeder geeigneten sachverständigen Methode bedienen. Die gewählte Methode muss über die maßgeblichen Faktoren der Nutzungsdauer Aufschluss geben, z. B. über den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung und rechtliche Nutzungsbeschränkungen. Der BFH hat daher ausdrücklich anerkannt, dass auch eine Gutachtenmethode, durch die die Restnutzungsdauer eines Gebäudes modellhaft wirtschaftlich bestimmt wird, als Nachweis genügen kann. Die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer nach der Immobilienwertermittlungsverordnung ist eine gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode, auch wenn das BMF dies im Schreiben vom 22.02.2023 (IV C 3 – S 2196/22/10006 :005) für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nicht anerkennt.

Quelle:BFH | Urteil | IX R 14/23 | 22-01-2024

Energiepreispauschale muss versteuert werden

Die Energiepreispauschale, die im Jahr 2022 an Arbeitnehmer ausgezahlte wurde, gehört nach § 119 Abs. 1 Satz 1 EStG zu den steuerbaren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Diese Regelung ist nicht verfassungswidrig.

Praxis-Beispiel:
Der Kläger erhielt im Jahr 2022 von seinem Arbeitgeber die Energiepreispauschale in Höhe von 300 €. Das Finanzamt erfasste diese im Einkommensteuerbescheid für 2022 als steuerpflichtigen Arbeitslohn. Der Kläger machte zunächst im Einspruch- und Klageverfahren geltend, dass die Energiepreispauschale keine steuerbare Einnahme sei. Es handele sich um eine Subvention des Staates, die in keinem Veranlassungszusammenhang zu seinem Arbeitsverhältnis stehe. Sein Arbeitgeber sei lediglich als Erfüllungsgehilfe für die Auszahlung der Subvention tätig geworden.

Das Finanzgericht Münster hat die Klage abgewiesen, weil der Gesetzgeber die Energiepreispauschale in § 119 Abs. 1 Satz 1 EStG ausdrücklich den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zugeordnet hat. Somit kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich ein Veranlassungszusammenhang mit der eigenen Arbeitsleistung besteht. Das Finanzgericht Münster hält § 119 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für verfassungsgemäß, weil für die dort geregelte Besteuerung der Energiepreispauschale der Bundesgesetzgeber (Art. 105 Abs. 2 Satz 1 GG) zuständig gewesen sei, da ihm die Einkommensteuer (teilweise) zufließe. Aus der Verfassung ergebe sich auch nicht, dass der Staat nur das „Markteinkommen“ besteuern dürfe.

Das Finanzgericht hat die Revision zum BFH zugelassen. Das Verfahren wurde sowohl von Steuerpflichtigen als auch von der Finanzverwaltung als Musterverfahren angesehen. Bundesweit sind zu der Besteuerung der Energiepreispauschale noch tausende Einspruchsverfahren in den Finanzämtern anhängig. Ob die Revision vom Kläger eingelegt wurde, ist derzeit noch nicht bekannt.

Hinweis: Es ist also zunächst sinnvoll, Einspruch einzulegen und ein Aussetzen des Einspruchsverfahrens zu beantragen.

Quelle:Finanzgerichte | Urteil | FG Münster, 14 K 1425/23E | 16-04-2024

Vermietungseinkünfte: Kfz-Kosten

Bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gilt, dass die tatsächlichen Aufwendungen für beruflich veranlasste Fahrten als Werbungskosten abziehbar sind. Anstelle der tatsächlichen Aufwendungen, die durch die Kfz-Nutzung entstehen, können die Fahrtkosten mit den pauschalen Kilometersätzen angesetzt werden, die für das Fahrzeug als höchste Wegstreckenentschädigung nach dem Bundesreisekostengesetz festgesetzt sind. Das heißt also, dass die Kilometerpauschalen nur eine Alterative zu den tatsächlichen Kosten darstellen. Somit ist gesetzlich eindeutig geregelt, dass die tatsächlichen Aufwendungen, die durch die persönliche Benutzung eines Fahrzeugs entstehen, berücksichtigt werden können oder alternativ die Fahrtkosten mit den pauschalen Kilometersätzen angesetzt werden können. Diese Regelung gilt nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für alle Überschusseinkunftsarten, wie z. B. bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.

Fazit: Das Problem ist somit, wie die privaten bzw. die beruflichen Anteile der insgesamt pro Jahr zurückgelegten Kilometer ermittelt werden können. Die analoge Anwendung der 1%-Regelung ist als Schätzungsmethode unzulässig, weil sie nur bei Fahrzeugen angewendet werden darf, die zum Betriebsvermögen gehören. Bei Überschusseinkünften gehören die vermieteten Objekte jedoch regelmäßig zum Privatvermögen. 

Es kommt darauf an, die privaten bzw. die beruflichen Anteile der insgesamt pro Jahr zurückgelegten Kilometer zu ermitteln. Das Führen eines Fahrtenbuchs ist sehr mühsam, sodass eine alternative Möglichkeit zu bevorzugen ist. Hier gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Es sind jeweils die Kilometerstände am 1.1. und am 31.12. eines Jahres festzuhalten. Des Weiteren sind alle beruflichen Fahrten aufzuzeichnen. Die Differenz ist die Jahresfahrleistung. Als Werbungskosten abziehbar sind:
    PKW-Gesamtkosten: Jahresfahrleitung = Kosten pro Km x beruflich gefahrene Km
  • Aufzeichnung aller beruflichen Fahrten über einen repräsentativen zusammenhängenden Zeitraum von 3 Monaten entsprechend dem BMF-Schreiben vom 18.11.2009 (IV C 6 – 52177/97/10004). Die berufliche Nutzung darf in jeder geeigneten Form dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Die berufliche Nutzung kann durch formlose Aufzeichnungen, Eintragungen im Terminkalender, Abrechnung gefahrener Kilometer gegenüber Auftraggebern, Reisekostenaufstellungen sowie andere Abrechnungsunterlagen glaubhaft gemacht werden. Der hiernach ermittelte Prozentsatz kann dauerhaft zugrunde gelegt werden, solange keine wesentlichen Veränderungen bei der Kfz-Nutzung eintreten.

Die formlosen Aufzeichnungen über einen repräsentativen zusammenhängenden Zeitraum von 3 Monaten sind jedenfalls einfacher als das Führen eines Fahrtenbuchs und es kann dann der Prozentsatz zugrunde gelegt werden, der über einen repräsentativen 3-Monatszeitraum ermittelt worden ist. Es ist sinnvoll, einen möglichst repräsentativen 3-Monatszeitraum zu wählen.

Tipp: Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, sollte diese Vorgehensweise (unter Hinweis auf das BMF-Schreiben) mit dem Finanzamt abgestimmt werden.

Quelle:EStG | Gesetzliche Regelung | § 9 Abs. 1 Nr. 4a | 09-05-2024

Freie Mitarbeiter: Überlassung eines Firmenwagens

Überlässt der Unternehmer seinem Arbeitnehmer einen Firmenwagen, erfolgt die private Nutzung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses. Für bestimmte Tätigkeiten können Unternehmer auch freie Mitarbeiter einsetzen. Der Unternehmer kann seinem freien einen Firmenwagen zur Verfügung stellen, der auch privat genutzt werden darf. Der Vorteil der Privatnutzung ist beim freien Mitarbeiter als Erlös zu erfassen. Bei dem Unternehmer, der das Fahrzeug überlässt, handelt es sich um betriebliche Aufwendungen, die er auf das Konto "Fremdleistungen" bucht.

Soweit der freie Mitarbeiter das Fahrzeug verwendet, um für den Unternehmer Aufträge durchzuführen, handelt es sich um betriebliche Fahrten, für die der Unternehmer die Kosten unmittelbar übernimmt. Diese Fahrten brauchen zwischen Unternehmer und freiem Mitarbeiter nicht abgerechnet werden, wenn die Kosten unmittelbar beim Unternehmer entstehen und von ihm als Betriebsausgaben abgezogen werden. Umsatzsteuer fällt keine an, weil kein Leistungsaustausch stattfindet.

Darf der freie Mitarbeiter den Firmenwagen auch für private Fahrten nutzen, unterliegen die hierauf entfallenden Kosten als Leistungsaustausch der Umsatzsteuer. D.h., Unternehmer und freier Mitarbeiter müssen diese Kfz-Kosten abrechnen, wenn sie keine steuerlichen Nachteile in Kauf nehmen wollen. Den geldwerten Vorteil rechnet der freie Mitarbeiter mit dem Unternehmer ab, bzw. dieser erteilt dem freien Mitarbeiter eine Gutschrift, wobei die private Nutzung entweder

  • nach den tatsächlichen Kosten abgerechnet wird, die auf die privaten Fahrten entfallen, oder
  • nach der 1%-Methode.

Bei der privaten Nutzung durch den freien Mitarbeiter handelt es sich um eine entgeltliche Leistung des Unternehmers. Gegenleistung ist die Dienstleistung des freien Mitarbeiters. Konsequenz ist, dass der Unternehmer insoweit einen steuerpflichtigen Umsatz ausführt. Wenn ein Elektrofahrzeug oder extern aufladbares Hybridfahrzeug verwendet wird, stellt sich die Frage, ob ertragsteuerlich die reduzierten Werte zugrundegelegt werden können. Umsatzsteuerlich ist dies nicht möglich, sodass eine problemlose Abrechnung nur möglich ist, wenn die Werte verwendet werden, die für Verbrennungsmotoren gelten.

Praxis-Beispiel:
Eine GmbH überlässt ihrem freien Mitarbeiter einen Pkw. Der Bruttolistenpreis beträgt 32.000 €. Der 1%-Wert beträgt daher 320 € pro Monat. Die Abrechnung sieht dann wie folgt aus:

Pkw-Überlassung für Privatfahrten im Monat 320,00 €
Zuzüglich 19% Umsatzsteuer 60,80 €
Bruttobetrag 380,80 €

 

Abrechnung durch den freien Mitarbeiter
Honorar für vereinbarte Leistungen (Honorar, Provisionen):
320,00 €
zuzüglich 19% Umsatzsteuer 60,80 €
Bruttobetrag 380,80 €
Verrechnung mit der Pkw-Überlassung 380,80 €
noch zu zahlen 0,00 €

Die tatsächliche Nutzung (Sachzuwendung) hat der freie Mitarbeiter erhalten, sodass der Betrag von 380,80 € nicht in bar gezahlt wird. Es fließen insoweit keine Geldbeträge. Der freie Mitarbeiter zahlt 60,80 € Umsatzsteuer an das Finanzamt. Die GmbH hat einen Vorsteuerabzug von 60,80 €, sodass sich per Saldo für die GmbH aus diesem Vorgang keine Umsatzsteuerbelastung ergibt.

Quelle:Sonstige | Sonstige | Fall aus der Praxis | 02-05-2024